Ein Kuriosum. Im November 2004 flimmerte der erste Bericht von Frontal21 über Gewalt in Computerspielen (»Videogemetzel im Kinderzimmer«) über deutsche Bildschirme. Viele Spieler beschwerten sich damals über die einseitige und schlecht recherchierte Berichterstattung, unter ihnen Matthias Dittmayer, der die Webseite Stigma Videospiele ins Leben rief. Es folgte ähnlich geartete Berichterstattung u.a. in den Sendungen Aspekte und Panorama, es folgten weitere Beschwerden von Spielern, es folgten Stellungnahmen des Rundfunkrates, des NDR-Intendanten und mehrerer Redaktionen. Es folgte vor allem ein Video von Matthias Dittmayer über all die kleinen Ungenauigkeiten und Recherchefehler in den oben genannten Sendungen. Ein Video, das innerhalb kürzester Zeit über YouTube so weite Verbreitung fand, dass sich Dr. Claus Richter, Redaktionsleiter von Frontal21, nun genötigt sah, dazu Stellung zu nehmen und eine inzwischen drei Jahre alte Sendung zu verteidigen.
Insgesamt hält Herr Dr. Richter die Vorwürfe gegen Frontal21 »für gänzlich unbelegt, nicht stichhaltig oder irreführend.« Er begründet das so:
1) Wie kann man mit einem Videospiel das Zielen trainieren?
Genau das ist die Grundlage beim Training der US-Armee mit Egoshootern. Im derzeit renommiertesten Sachbuch zum Thema „Der virtuelle Krieg“ des CT-Redakteurs Hartmut Gieselmann (Hannover 2002) heißt es: …
Es folgen diverse Zitate, die besagen, dass das »Militär … Videospiele als Vorabtraining« nutze, »Computerspiele zur Ausbildung ein[setze]« und so weiter. Keine einzige konkrete Aussage, was genau mit diesen Simulationen trainiert werden soll. Taktisches Vorgehen vielleicht? Da Soldaten über weit mehr Kompetenzen verfügen müssen als nur über Zielgenauigkeit mit ihrer Waffe, und da Maus und Tastatur ebenso wie Gamepads völlig ungeeignet sind, den Umgang mit realen Waffen nachzubilden – was ausnahmslos jedem, der schon einmal selbst Egoshooter gespielt hat, klar sein dürfte –, bleibt die Kritik an Theo Kolls drei Jahre alter Aussage bestehen: Der Junge, der in seine Schule marschierte und unter Lehrern und Schülern ein Massaker anrichtete, kann nicht mit einem Computerspiel das Zielen trainiert haben.
(siehe Schießtraining am PC)
Den Umgang mit Waffen erlernte Steinhäuser in einem Schützenverein. Das ist seit Jahren bekannt.
2) „Doom 3“ … darf nur an Volljährige verkauft werden
Der Vorwurf trifft die Berichterstattung nicht, da der Beitrag auf etwas anderes zielte: "Doom 3" hätte wie das Vorgängerspiel indiziert werden müssen.
Der Beitrag besagt konkret, Doom 3 gelte als "nicht jugendgefährdend" und sei beliebt bei Jugendlichen. Gleichzeitig werden Jugendliche mit der Spielepackung gezeigt. Eine gewagte Zuspitzung der tatsächlichen Situation, denn Doom 3 hat keine Jugendfreigabe erhalten und gilt damit immerhin noch als jugendbeeinträchtigend. Ob dem Gros der damaligen Zuschauer der Unterschied zwischen Gefährdung und Beeinträchtigung klar war? Bild und Off-Kommentar erwecken den Eindruck, als halte es die USK für völlig okay, dass Jugendliche Doom 3 spielen. Das ist nicht zutreffend.
Recht geben muss ich Herrn Dr. Richter allerdings im Hinblick auf die inkonsequente Kennzeichnung von Spielereihen. Das beste Beispiel, Grand Theft Auto, hat er dabei sogar noch unterschlagen. Trotz annähernd gleichen Gewaltgrades der deutschen Versionen schwankte die Einstufung der Serienfolgen seit GTA3 zwischen der Freigabe ab 16 Jahren und keiner Kennzeichnung.
3) In keiner der bei Steinhäuser gefundenen Spielen ist es das Ziel, Lehrer oder Schüler zu erschießen.
Ob der Täter speziell das Töten von Lehrern oder Schülern trainiert oder das Töten allgemein, ist nach Meinung der Redaktion unerheblich. Eine solche Differenzierung erscheint uns zynisch.
Der Wortlaut des Beitrags: »Im Blutrausch tötet ein Schüler Lehrer und Mitschüler, wie im Computerspiel.« Ohne die von Steinhäuser gespielten Videospiele damit in irgendeiner Form werten zu wollen, ist die Aussage, er hätte »wie im Computerspiel« Schüler und Lehrer getötet, falsch oder zumindest missverständlich.
Unerheblich ist das keineswegs. Ob ich in einem Videospiel Aliens und Zombies töte oder ob ein Spiel von mir verlangt, wehrlose Lehrkräfte und kleine Kinder über den Haufen zu schießen, wie es Frontal21 suggeriert, ist ein gewaltiger Unterschied. Das kann man vermutlich nur dann anders sehen, wenn man in seinem Leben noch keinen Egoshooter gespielt hat.
5) Das Spiel bestraft das Töten von unbeteiligten Zivilisten
Auch dies ist ein zynischer Einwand. Geht es doch in dem Spiel darum, Figuren, die an Behinderte erinnern, zu töten. Der Unterschied »beteiligt« oder »unbeteiligt« ist nach unserer Ansicht menschenverachtend.
Der Unterschied ist überhaupt nicht vorhanden. Das Töten von Zivilisten ist in Hitman: Contracts über weite Strecken weder notwendig noch Spielziel. Es geht in diesem Spiel nicht darum, Behinderte zu töten.
Die falsche Darstellung des Fernsehberichtes mit anderen Worten zu wiederholen, nachdem man mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass die Darstellung falsch ist, kann doch nicht die Lösung sein.
6) 2006 befand sich lediglich ein Egoshooter in den Top 10 der Verkaufscharts
Herr Dittmayer zitiert die Jahrescharts 2006, Frontal21 dagegen die von 2004. So viel zur Genauigkeit der Kritik von Herrn Dittmayer.
2004 waren mit Half-Life 2, Sacred, Battlefield Vietnam, Die Schlacht um Mittelerde, Rome: Total War und Codename: Panzers sechs Spiele in den Top Ten, die man mit viel Fantasie als »Metzelspiele« bezeichnen könnte. Was keineswegs bedeutet, dass alle sechs Spiele besonders brutal und gewalthaltig gewesen wären und die Indizierung verdienen würden.
Bei Frontal21 war von »Metzelspielen« die Rede, das heißt nicht nur von Egoshootern. Sehr beliebte brutale und auch indizierte Spiele sind Prügelspiele, Kriegsspiele und so genannte Actionspiele, deren Spielaufbau nichts mit einem Egoshooter zu tun hat. Shooter sind also lediglich ein Teilsegment des Gewaltgenres, was der Kritiker verschweigt.
Wenn man hinsichtlich der gängigen Genregrenzen bei Videospielen schon nicht ganz sattelfest ist, dann sollte man nicht versuchen, Kennern diese Grenzen zu erklären. »Actionspiele, deren Spielaufbau nichts mit einem Egoshooter zu tun hat« sollen vermutlich Action-Rollenspiele sein. Hinter »Kriegsspielen« vermute ich Strategiespiele. Matthias Dittmayers Annahme, es gehe Frontal21 vor allem um Egoshooter, halte ich dahingehend für gerechtfertigt, als sich der Beitrag ansonsten beinahe ausschließlich mit Egoshootern befasst.
Gewalt ist kein Genre.
4) Nur geprüfte Spiele tauchen in der Statistik auf
Frontal21 berichtete korrekt, dass zahlreiche extrem brutale Spiele auf dem Markt sind, deren Vorgängerversionen noch indiziert waren.
Das war nicht die Frage. Frontal21 argumentiert hier damit, dass nur 23 Spiele »keine Freigabe« – eigentlich gemeint ist »keine Kennzeichnung« – erhalten haben. Matthias Dittmayer weist zu Recht darauf hin, dass Spiele, bei denen die Hersteller von vorneherein davon ausgehen, keine Kennzeichnung zu erhalten, gar nicht erst für das teure Prüfverfahren angemeldet werden. Deshalb kann die Zahl nicht gekennzeichneter Spiele auf dem Markt höher sein, als die USK-Statistiken besagen.
Das entwertet allerdings nur ein von vorneherein wertloses Argument. Wievielen Spielen eine Kennzeichnung verweigert wird, kann kein Kriterium für die Qualität der Arbeit der USK sein. Aufgabe der USK ist es, jedes Spiel für sich genommen fair zu bewerten.
Es ist nicht ihre Aufgabe, Vergabequoten zu erfüllen.
Wie löchrig der Jugendschutz ist, belegen im Übrigen auch neuere Konsolenspiele wie Backyard Wrestling, …. Auf der Hülle heißt es: „Bereite dich auf unsagbare Schmerzen vor“, „Verwende stachelumwickelte Baseballschläger“. Und das Prügelspiel Fight-Club wirbt auf dem Cover mit Sprüchen wie: „Was weißt Du über Dich, wenn Du dich noch nie geprügelt hast.“ Vorzüge des Spiels seien: „Schockierende Röntgen-Aufnahmen bei Knochenbrüchen“ und „Extrem realistische Kampfverletzungen“. In dem aktuelleren brutalen Spiel Death by Degrees heißt es in der Beschreibung: „Innovatives, ‚kritisches Treffer’-Zielsystem – Knochen zersplittern und innere Organe explodieren, wenn Nina mit einem Schlag tötet.“
Zu unser aller Glück basieren die Prüfungsergebnisse der USK auf mehr als nur Verpackungstexten. Sehr bedenklich finde ich, dass trotz der Behauptung, Gewaltspiele wären »überall ganz oben in den Hitlisten«, bei der Suche nach besonders gewaltigen Beispielen regelmäßig zu Randgruppenspielen gegriffen werden muss. Sind die Spiele, die in den Hitlisten ganz oben stehen, möglicherweise nicht brutal und gewalttätig genug?
7) Finaler Rettungsschuss
Im Zusammenhang mit dem Spiel Silent Scope 3 die Frage nach der Rechtfertigung von »finalen Rettungsschüssen« bei Geiselnahmen zu diskutieren, ist abwegig.
Nicht, solange man von dem Spiel nichts weiter als einen solchen Rettungsschuss zeigt und diesen als »gezielten Mord« bezeichnet. Mag die Darstellung des Spiels ebenso wie der Zwischenruf »You're the Greatest!« auch geschmacklos sein, man muss dieses Niveau nicht noch unterbieten.
8) Verantwortung der Verkäufer
Es entspricht schlicht der Lebenserfahrung, dass Verkäufer Jugendschutzbestimmungen häufig nicht sehr ernst nehmen.
Da der Verstoß gegen diese Bestimmungen mit Ordnungsstrafen bis zu 50.000 Euro geahndet werden kann, sollten sie diese aber ernst nehmen. Tun sie das nicht, ist es keinesfalls die Schuld der USK.
Ein Kuriosum, dass wir heute hier sitzen und über einen Fernsehbericht debattieren, der bereits drei Jahre alt ist. Aber noch immer fehlt der zuständigen Redaktion die Einsicht, was damals schief gelaufen ist und womit sie die wütenden Reaktionen eigentlich provoziert hat. Herr Dr. Richter verteidigt die Kernaussage des damaligen Beitrags, während Matthias Dittmayer vor allem die vielen handwerklichen Fehler und Ungenauigkeiten seziert. Das ist notwendig, bevor man über die Kernaussage überhaupt erst reden kann. Was gerade die jetzige Stellungnahme beweist, die erschreckend viel Unkenntnis gepaart mit unerschütterlichem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit offenbart.
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