»Wenn du mit den Ratten im Keller fertig bist, könntest du dann bitte noch schnell die Welt retten?« Seit Urzeiten werden in Rollenspielen immer wieder dieselben Plotvehikel bemüht. Sehe ich noch einmal Dämonen aus Höllentoren über friedliche Welten herfallen, dann falle ich auch. Ins Koma vermutlich. Neverwinter Nights 2 dagegen hatte seine Stärken im Konflikt zwischen Niewinter und Luskan und wartete darüber hinaus noch mit einem tragischen Antagonisten auf. Dennoch musste die Gefahr im Finale unverständlicherweise auf globale Ausmaße aufgeplustert werden, bis zu dem Punkt, an dem sie zusehens nicht mehr greifbar, abstrakt und damit nichtssagend wurde. Mit Mask of the Betrayer geht man bei Obsidian dagegen andere Wege. Die Geschichte des Verräters ist weit düsterer und persönlicher geraten als das Hauptspiel. Die Welt retten? Vergiss es! Du kannst froh sein, wenn du es schaffst, dich selbst zu retten.
Ohne viel von der Story preisgeben zu wollen – darüber unterhalten wir uns in einem späteren Artikel ausführlich –, ziehe ich meinen Hut davor, wie geschickt der Ablauf komponiert wurde und wieviele Probleme des Hauptspiels dabei umgangen wurden. Hatte ich in Neverwinter Nights 2 vor allem im ersten Drittel den Eindruck, die Geschichte würde ziellos vor sich hindümpeln und viele Dinge – Orks! – wären in den Haupthandlungsstrang verwoben, obwohl sie bestenfalls in Nebenquests gehört hätten, schlägt das in Mask of the Betrayer ins Gegenteil um. Die Geschichte wird über weite Strecken sehr zielstrebig erzählt und die Nebenquests haben überwiegend einen so deutlichen Bezug zur Haupthandlung, dass man sie kaum als »Nebenquests« wahrnimmt.
Die eigene Handlungsfreiheit ist dabei spürbar größer als im Hauptspiel. Wie tiefe Eingriffe in die Handlung das Spiel ermöglicht (siehe Okku, Traumzirkel, Myrkul, Gründerin), mag man erst gar nicht glauben. Doch vieles von dem, was man auf seiner Reise tut, hat tatsächlich Auswirkungen darauf, welches Ende einen erwartet. Einen Haken hat die Sache allerdings: Auch weil sich manche Nebenquests gegenseitig ausschließen, hatte ich häufig das ungute Gefühl, wichtige Dinge zu verpassen.
Die Auswahl an Gefährten für die anstrengende Reise ist diesmal begrenzter. Dafür sind die Gesellen weniger klischeehaft und nicht ganz so leicht zu durchschauen wie diejenigen des Hauptspiels. Der Wermutstropfen: Obwohl jeder Gefährte laut Obsidian im Vergleich zu denen aus Neverwinter Nights 2 über deutlich mehr Text verfügt, geben sie sich leider viel passiver. Nach Wendungen im Plot haben sie meist Interessantes zu sagen, tun das aber nicht von sich aus, sondern erst, wenn man sie anspricht. Vor allem untereinander scheinen sich unsere Mitreisenden kaum wahrzunehmen. Die Wortgefechte zwischen Khelgar, Neeshka und Elanee trugen viel zur Atmosphäre bei, aber die Gefährten des Addons reagieren nur in Ausnahmefällen aufeinander. Da fragt man sich, wo die zusätzlichen Zeilen Text eigentlich geblieben sind.
Verschwunden ist zugunsten eines düsteren Grundtons der lockere Humor, die Leichtigkeit der ursprünglichen Kampagne. Als kleines Einsprengsel lässt die Frostriesen-Episode den alten Witz noch einmal kurz aufleben, aber dabei bleibt es. Gut ist das deshalb, weil es den Ernst der Lage glaubhaft vermittelt. Die Situation des Spielers und seiner Gefährten ist einfach zu prekär, um darüber zu scherzen. Vom Gameplay her wird das durch das Spirit Meter unterstrichen, das einen durchaus unter Zeitdruck setzt. Rechnet man nun noch die abgehobenen Schauplätze gerade in der zweiten Hälfte des Spiels sowie die Gänsehaut erzeugenden Dialoge dazu, hat man die Zutaten, mit denen Obsidian ein kleines Kunststück gelingt: Eine Geschichte zu erzählen, die einerseits sehr persönlich ist und ohne Weltenrettung auskommt, andererseits aber so überhöht und von so großer Tragweite ist, dass sie wohl nur von Thron des Bhaal und Planescape: Torment übertrumpft wird.
Wie schon im Hauptspiel kann die technische Umsetzung mit der erzählerischen Klasse nicht mithalten. Bekannte Probleme wie die Kameraführung und die künstliche Intelligenz der Gefährten wurden zwar in Angriff genommen, aber nur marginal verbessert. Landschaften und Innenräume variieren qualitativ noch immer zwischen traumhaft und steril. Bei den Zaubereffekten hat man noch einmal kräftig draufgelegt, die Licht- und Schattenspiele finde ich atemberaubend, doch leider berauben sie mich zunehmend auch der Übersicht. »Meteoriten« und «Sonnenstrahl« sind beste Voraussetzungen, um im gleißenden Licht beim besten Willen den Gegner nicht mehr ausfindig machen zu können.
Mit dem Ausbalancieren des Schwierigkeitsgrades hatte man schon im Hauptspiel seine Probleme. Die hinzugekommenen epischen Level, die neuen Klassen, neuen Zauber und Fähigkeiten machen den Job noch schwerer, als er sowieso schon war. Wie anspruchsvoll das Spiel für den Einzelnen tatsächlich ist, hängt extrem von der Wahl der Klasse, der Gesinnung und einigen Entscheidungen in der Kampagne ab. Einem bösen Magier, der ohne die Hilfe des Kriegers und ohne die heilenden Hände der Klerikerin auskommen muss, werden einige graue Haare wachsen. Insbesondere die Storyabschnitte, in denen man ausschließlich mit einer weiteren Magierin unterwegs ist, werden ohne einen Nahkämpfer als Prellbock zwischen Magiebegabten und dem Feind mit Sicherheit unangenehm.
Eine komplett gegensätzliche Spielerfahrung macht man mit einem rechtschaffen guten Nahkämpfer, der sich sowohl den besten NPC-Krieger als auch die Klerikerin an Bord holt. Hier erinnert das Spiel eher an Spaziergänge an lauen Sommerabenden. Ab und zu verscheucht man ein paar nervige Mücken, aber wirklich passieren kann einem eigentlich nichts. Da kann man sich planlos von einer Gegnergruppe in die nächste schmeißen, sich mit seinem Nahkämpfer den angenehmsten Gegner raussuchen und die künstliche Intelligenz der Begleiter tun lassen, was dämliche künstliche Intelligenzen eben so tun. Die größte Herausforderung beim Endkampf ist es noch, nicht dabei einzuschlafen.
Das ist zwar sehr schade, fügt Mask of the Betrayer insgesamt aber keinen allzu großen Schaden zu, denn der Anteil der Kämpfe am Gesamtgeschehen wurde zugunsten der Dialoge und einiger Rätsel generell zurückgefahren. Was bleibt, ist eine fantastische Geschichte über unsterbliche Seelen und die Träume toter Götter, über Liebe, Leid und Gerechtigkeit, über Masken und das, was hinter ihnen steckt. Eine Geschichte, die sich vor der des Hauptspiels nicht zu verstecken braucht, sie sogar in vielen Punkten übertrifft.
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