»Los! Ich brauche was zu hören!« Mit diesen Worten eröffnete Riccardo Chailly heute die morgendliche Probe des Gewandhausorchesters im Großen Saal des Gewandhauses. Was zu hören gab es vor einer Woche am gleichen Ort für Fans von Videospielen, nämlich das inzwischen »GC in Concert« genannte Spielemusikkonzert anlässlich der Games Convention.
Das Konzert diente im Gegensatz zu den Vorjahren nicht mehr als offizielle Eröffnungsveranstaltung der GC, was zweierlei bedeutete: Der musikalische Hochgenuss wurde nicht mehr von langwierigen Reden unterbrochen und dem Publikumsverhalten merkte man deutlich an, dass zur Teilnahme in den letzten Jahren mehr oder minder verpflichtete Industrievertreter ihre Plätze diesmal für die Fans räumten.
Dass die Veranstaltung der Reden verlustig ging, bedeutet aber keineswegs, dass der Abend merklich kürzer geworden wäre. Im Gegenteil: Das FILMharmonic Orchestra Prag unter Maestro Andy Brick hatte derart viel erstklassige Arrangements im Gepäck, dass das Konzert wohl das längste der Reihe geworden ist. Schon der Part vor der zwanzigminütigen Pause wäre in meinen Augen als das bisher beste Spielemusikkonzert in Leipzig durchgegangen. Und im zweiten Teil des Abends schaffte man es tatsächlich, noch eins draufzusetzen.
Herrlich zum Beispiel der Moment in New Super Mario Bros., in dem Posaunen und Trompeten mit dem altbekannten Thema einsetzten. Den Klangcharakter dieser Stelle hätte man wohl kaum besser treffen können. Marek Zvolánek, der erste Solotrompeter, brillierte später noch in einigen anderen Stücken und bekam dafür verdienten Applaus.
Die Überraschung des Abends war für mich die Suite des im kommenden Frühjahr erscheinenden Adventures The Abbey. Komponist Emilio de Paz ist gleichzeitig der Chefdesigner des Spiels und hat mit großer Orgel, Chor und Orchester einen wuchtig-düsteren Soundtrack geschaffen, der auch Der Name der Rose zur Ehre gereichen würde. Mit dem »Kyrie Eleison« lieferte der Chor zugleich seine beste Performance des Abends ab.
Rayman Raving Rabbids machte Wahnsinn hörbar. Bei Day of the Tentacle hatte ich den Vorspann des Klassikers sofort wieder vor Augen. Die StarCraft-Suite hat in mir zumindest den Vorsatz geweckt, Blizzards Wunderwerk vor Erscheinen des Nachfolgers nun endlich selbst zu spielen. Großartig auch Izumi Masudas Interpretation von »Distant Worlds« aus Final Fantasy XI. Nobuo Uematsu sucht seinesgleichen.
Die Turrican II-Suite. Das Spiel hat so viele Jahre auf dem Buckel, man hat die Musik schon so oft gehört. Aber sie wird einfach nicht alt. Kein bisschen. Ich könnte mir das immer wieder anhören. Zumal Adam Klemens' Orchestrierung hervorragend funktioniert.
Im Gegensatz zum Arrangement zu Sims 2, das den Charakter der Musik aus EAs Seifenopern-Simulator leider überhaupt nicht trifft. Die Eingangstakte des Hauptthemas erinnern im Spiel an das Ticken einer Uhr oder eines Metronoms, aber in der Orchesterfassung war das nicht erkennbar. Die Melodie liegt im Spiel meist im Klavier, der Celesta oder Schlaginstrumenten wie Marimbaphon oder Vibraphon - zumindest soweit sich das bei der Synthesizerfassung sagen lässt. Die Töne haben einen kurzen Anschlag und klingen nicht lang nach. In der aufgeführten Orchesterfassung lag die Melodie aber häufig in den Bläsern, die sie zumeist breit und getragen spielten. Das läuft, denke ich, der Intention des Komponisten zuwider. Die begleitenden Streicher waren selbst im pizzicato im Vergleich zur Melodie häufig zu laut und schlecht zusammen.
Kleinere Probleme im Zusammenspiel gab es auch im C64-Medley, sie waren dort aber wohl den komplexen Rhythmen geschuldet. Am Dirigenten zumindest lag es nicht, denn auch wenn ich mir manchmal wünschte, dass Andy Brick musikalisch etwas mehr aus sich herausgehen möge, so versteht er sich doch ausgezeichnet auf sein Handwerk und zeigt die geforderten Tempi jederzeit präzise und gut erkennbar an. Für Orchestermusiker ein Traum.
Rony Barrak, libanesischer Percussion-Künstler mit Wohnsitz in London und Publikumsliebling des Spielemusikkonzertes 2005, reiste in diesem Jahr für die Metal Gear Solid 3: Snake Eater-Suite an. Schon vor dem Orchestereinsatz präludierte er derart gekonnt auf seiner Darbuka, dass manchem im Saal vor Staunen der Mund offen stand. Übrigens auch einigen Orchestermusikern. Der dann folgende, gemeinsam mit dem Orchester gespielte Part war absolut mitreißend und ein würdiger Abschluss für einen fulminanten Abend.
Das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen, aber über einen Mann müssen wir noch reden: Roman Knoblauch, der uns durch das Programm führte. Ein paar Lacher hatte er durchaus auf seiner Seite, aber ingesamt war der Herr Moderator nervtötend und überflüssig. »Und schon sind wir mittendrin in der Welt der Spielemusik!«, trat er das Offensichtliche verkündend nach den ersten drei Stücken auf die Bühne. Danke Roman, eigentlich sind wir durch dein Gequatsche gerade wieder raus. Im weiteren Verlauf des Abends wird er regelmäßig die Fußballergebnisse verkünden, er wird Takenobu Mitsuyoshis Frage, ob er ihm und dem Publikum sein berühmtes »Daaaaaytona!« am Klavier vortragen soll, mit einem flapsigen »Nö« abbügeln und er wird es am Schluss, als die Künstler auf der Bühne versammelt stehen, versäumen, Andy Brick noch einmal hereinzurufen, während die freundliche Dame des Gewandhauses nicht so recht weiß, wohin sie mit dem für Herrn Brick bestimmten Blumenstrauß soll.
Großartige Leistung. Man hätte vor Fremdscham im Boden versinken können. Und das wirft eine Frage auf, die sich mir als durch den klassischen Konzertbetrieb verdorbenen Menschen auch in den letzten Jahren schon stellte: Wozu braucht diese Veranstaltung überhaupt einen Moderator?
Die Programmhefte beispielsweise waren dieses Jahr echte Sammlerstücke, sehr schön aufgemacht. Vielleicht sollte die Leipziger Messe erwägen, Herrn Knoblauchs Honorar im nächsten Jahr in den Druck der Programmhefte zu investieren, auf dass es mehr als nur fünfhundert davon gäbe.
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