Es gibt diese Szene in Le fabuleux destin d'Amélie Poulain, in der herauskommt, dass Collignons Vater zur Entspannung gerne Löcher in Lorbeerblätter stanzt. »Ich lasse Steinchen springen«, legt Amélie ihre Alternative dar. Für mich wäre das nichts. Ich lasse lieber Autos springen. Virtuell. Übers Wasser, über Hügel, Brücken und Häuser. In Trackmania United.
Der vor kurzem erschienene vierte Teil der Reihe sichert sich mit Leichtigkeit den Titel »Bestes Trackmania aller Zeiten«, schon allein deshalb, weil er alle bisherigen Serienteile in sich vereint, im Detail noch etwas aufpoliert und mit einem hervorragenden Onlinemodus krönt. An den Streckensets »Desert«, »Rally« und »Snow« eines Trackmania Original sowie »Island«, »Bay«, und »Coast« aus Trackmania Sunrise wurden allerdings nur marginale Änderungen vorgenommen. Hier und da mal eine nettere Textur oder neue Szenerieobjekte am Streckenrand, das war es auch schon.
Am grundsätzlichen Spielgefühl ändert sich also überhaupt nichts. Noch immer ist Trackmania ein purer Funracer ohne Schadensmodell, großen Fuhrpark oder Tuning, dafür aber mit umso größeren Anforderungen an den Spieler. Um in den Rennen um die vorderen Plätze mitfahren zu können, braucht man die Reflexe eines Dreizehnjährigen gepaart mit der Präzision eines Schweizer Uhrmachers. Das große Plus liegt immer noch in der jederzeit nachvollziehbaren Steuerung: Wenn ich einen Looping verpasse, gegen die Bande knalle oder an einem Blumentopf parke, habe in einhundert Prozent der Fälle ich etwas verbockt, nie das Spiel.
Im Gegensatz zu den übrigen Szenarien hat das »Stadium« aus Trackmania Nations allerdings einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht. Waren die geländegängigen Formel-Eins-Flitzer schon in Nations die Wagen mit der besten Fahrphysik der Reihe, so stimmt nun endlich auch das Drumherum. Dank der neuen Schotterpisten und vieler dazu gekommener Szenerieobjekte hat sich der Umfang des Sets locker verdoppelt, noch dazu wird es als einziges Set von einem schicken neuen Beleuchtungssystem in Szene gesetzt. Die schönsten und spaßigsten Trackmania-Rennen finden inzwischen hier statt.
»Online ist das Zauberwort, Online ist die Zukunft!«, hat man sich bei Nadeo gedacht, und deshalb sind wir in United selbst im Singleplayermodus ständig online. Wie früher rasen wir nacheinander über die vorgegebenen Strecken, um dafür Medaillen einzuheimsen. Das bleibt gleich. Sonst ist alles anders. Wenn man alle Strecken eines Schwierigkeitsgrades geschafft hat, wird beispielsweise direkt das nächste Level freigeschaltet, ohne dass man wie früher eine bestimmte Anzahl an Gold-, Silber- und Bronzemedaillen sammeln muss. Um den Ehrgeiz, fantastische Zeiten herauszufahren, dennoch anzustacheln, sogar weit effektiver als früher, gibt es selbst im Solomodus nun ein wahres Sammelsurium an Rankings. Für jeden Spielmodus, jedes Szenario, für jede einzelne Strecke gibt es weltweite Rankings der besten Fahrzeiten!
Damit man sich in diesen Hitlisten auch wiederfindet, wird man von United schon beim ersten Einloggen in eine »ManiaZone« einsortiert. In den meisten Fällen ist das die Stadt, in der man wohnt. Mit seinen anfangs recht schlechten Fahrzeiten startet man im Ranking seiner Stadt. Sobald man unter die einhundert besten Fahrer der nächstgrößeren Zone kommt, steigt man in diese auf. So arbeitet man sich zur Ladder des jeweiligen Bundeslandes, zur gesamtdeutschen Liste und schließlich ins weltweite Ranking vor, wenn man denn entsprechend gut fährt. Ich hätte mir noch eine europäische Zwischenstufe vor der letzten, den gesamten Globus umspannenden Liste gewünscht, aber das ist Kleinkram.
Noch einmal zusammenfassend, weil es selbst dann noch schwer zu glauben ist, wenn man es selbst im Spiel sieht: Diese geografisch abgestuften Rankings gibt es nicht nur für jeden Spielmodus, jedes Szenario, sondern es gibt sie für jede! einzelne! Strecke! Und glaubt nicht, dass das nur irgendwelche anonymen Zahlen wären, die dort über den Bildschirm huschen: Gerade in den lokal begrenzten Rankings begegnen einem die selben Namen in der Liste immer und immer wieder. Wenn ich »PerfectSk!ll0r« schon auf vier Strecken gezeigt habe, wo der Hammer hängt, lasse ich ihn ungern auf der fünften mit der Bestzeit davonkommen.
Bei den Listen, die nicht für eine Einzelstrecke, sondern beispielsweise für einen gesamten Spielmodus gelten, ist mein Eindruck allerdings nicht ganz so gut. Um diese Rangordnungen zu berechnen, werden nicht etwa Streckenzeiten oder Medaillen direkt verrechnet, sondern man bekommt für absolvierte Strecken Skillpunkte gutgeschrieben. Diese Skillpunkte hängen einzig und allein von den Zeiten ab, die andere Spieler auf der gleichen Strecke bereits erreicht haben. Das bedeutet, dass man als erster offizieller Fahrer auf einer Strecke automatisch null Punkte bekommt, selbst wenn die erreichte Zeit spitzenmäßig ist. Das bedeutet, dass der Erstplatzierte umso mehr Skillpunkte kassiert, je mehr Fahrer auf dieser Strecke bereits gefahren sind. Von Spielern neu gebastelte Strecken haben häufig einen schlechten Start, weil es auf viel befahrenen Strecken deutlich mehr Punkte zu holen gibt.
Noch ärger ist allerdings, dass das Skillpunktesystem die Schwierigkeit und Länge einer Strecke überhaupt nicht berücksichtigt. Die Spannbreite der auf einer einzigen Strecke erreichbaren Punkte reicht derzeit von wenigen Einzelpunkten für schlechte Fahrer über einige hundert Punkte für durchschnittliche bis hin zu vielen tausend für Spitzenfahrer, völlig unabhängig von den Streckeneigenschaften. Kein Wunder also, dass die oberen Plätze in den Sammelrankings meist von Spielern erreicht werden, die besonders einfache und kurze Strecken perfektionieren. Das Fahren auf längeren, schwereren Strecken lohnt sich im Singleplayermodus derzeit überhaupt nicht, falls man auf die Sammelrankings irgendeinen Wert legt.
Eine interessante Wandlung hat die Währung Trackmanias durchgemacht: Coppers verdiente man in den früheren Teilen durch Medaillengewinn und benötigte sie, um Bauteile im Streckeneditor zu kaufen. Inzwischen ist der Streckeneditor von den verdienten Coppers zum Glück völlig unabhängig, denn die Kreativität der Streckenbauer wegen ihrer Fahrleistungen im Solomodus einzuschränken, war noch nie eine besonders gute Idee. Dafür benötigt man die Coppers inzwischen für fast alles andere.
Der Singleplayermodus unterscheidet nun zwischen Trainingsläufen und offiziellen Rennen. Die Teilnahme an einem offiziellen Lauf kostet zehn Coppers, dafür kann man nur in diesem Modus mit seinen Medaillen auch Geld und Skillpunkte gewinnen, denn Trainingsläufe zählen nicht für die Rankings. Während man die schwereren Rennen im Solomodus früher einfach oft genug fuhr, um irgendwann mit Glück eine Bestzeit zu erreichen, geht es nun darum, diese Bestzeiten wirklich reproduzieren zu können. Das erfordert richtig Übung, denn wenn ich im offiziellen Modus von der Strecke abkomme, mit einem Hindernis kollidiere oder einfach nur ein, zwei Kurven nicht ideal erwische, ist meine Startgebühr weg. Verschenkt!
Insgesamt ist die neue alte Währung viel weitreichender ins Spiel integriert als früher. Über die »ManiaLinks« kann man unzählige neue Strecken, Modifikationen, Skins usw. inzwischen direkt aus dem Spiel heraus herunterladen, ohne den Umweg über externe Webseiten. Allerdings wollen die Anbieter dafür virtuelles Geld sehen: Neue Strecken gibts für zehn Coppers pro Stück, für Modifikationen der Grafiksets oder für neue Autos bezahlt man schon mal 150 bis 300 Coppers. Der Weg, sich all das kostenlos im Internet zu besorgen, funktioniert natürlich weiterhin, aber die Möglichkeit, das alles mit zwei Klicks im Spiel zu machen, lockt trotzdem.
Erwähnenswert noch, dass wir Spieler von Nadeo eine tägliche Pension kassieren, um uns das ganze Zeug überhaupt leisten zu können: Fünzig Coppers pro Tag, an dem du spielst, finden sich standardmäßig auf deinem Konto ein. Wenn du die alten Serienteile besitzt und im Spiel registrierst, erhöht sich das auf achzig Coppers. Die Gefahr einer virtuellen Insolvenz besteht also nicht.
Wer die älteren Teile bis heute im Multiplayer spielt, hat sowieso kaum eine Wahl: United reduziert die Anzahl der nötigen Icons auf dem Desktop von drei auf eins, kommt auch mit Strecken, die für die Vorgänger gebastelt wurden, prima klar und bietet im Multiplayer endlich das komplette Trackmania unter einem Dach. Wer im Gegenteil um Trackmania bisher immer einen Bogen gemacht hat, hat nun beim besten Willen keine Ausrede mehr.
Kritisch wird es für Leute wie mich, die mit den Vorgängern für kurze Zeit Spaß hatten, sie aber auch schnell wieder weglegten, denn denen bietet United sehr wenig Neues. Nicht ein einziges komplett neues Streckenset, beispielsweise. Auf der anderen Seite habe ich während des Schreibens dieses Artikels United öfter gestartet, um »nur mal schnell« ein paar kleinere Sachen nachzuprüfen. Viel zu oft bin ich dabei für mehrere Stunden im Spiel hängengeblieben. Zum Beispiel wenn ein Mitbewerber gefährlich nah an meinen sechsten Platz in Sachsens Top Ten herankam und ich aus irgendwelchen Strecken nun noch ein paar Skillpunkte herausquetschen musste.
United mag seine Schwächen haben, es mag alles schon mal dagewesen sein, aber der Onlineaspekt ist in der Konsequenz, mit der er sich durch das gesamte Spiel zieht, einfach irre. Ich komm nicht davon los.
Kommentare sind für diesen Beitrag geschlossen.