Ich war nie in New Orleans. Doch als New Orleans live in den Fluten versank, war mir die Stadt seltsam vertraut. Nicht die kleinen topografischen Details natürlich, aber die Stimmung der Stadt. Falls eine Stadt so etwas überhaupt haben kann. Ihre Musik, ihre Stereotypen und sogar ihre Gerüche: Cajun-Küche. Dasselbe Gefühl der Vertrautheit absurderweise dann, wenn ich Schloss Neuschwanstein sehe. Auch dort war ich nie. Gabriel Knight und Grace Nakamura waren statt meiner dort. Jane Jensen hat beide erfunden.
Ob ein Job als Informatikerin bei Hewlett-Packard besonders zum wilden Fantasieren über Okkultismus, Werwölfe, schwule bayrische Könige, Vampire oder Geheimbünde anregt, weiß ich nicht. Jane Jensen jedenfalls steigt irgendwann Ende der Achtziger von Systemprogrammierung aufs Fantasieren um. Anfangs nur ein bisschen im Hintergrund bei Roberta Williams’ Sierra. Schließlich schreibt sie 1992 als Co-Autorin neben der Chefin persönlich King’s Quest VI. Doch Jane Jensens Name wird kaum mit der märchenbunten Königswelt in Verbindung gebracht, weil sie ein Jahr später auf die Seite des Okkulten und der Schatten wechselt. Erzählerisch natürlich nur.
Ihr Schattenjäger heißt Gabriel Knight und abenteuert sich 1993 mit Kollegin Grace durch den okkulten Sumpf von New Orleans in Gabriel Knight: Sins of the Fathers. Klassisches Point’n’Click, Gabriel spricht mit der Stimme Tim Currys, gleich zwei Spielfiguren hören auf des Spielers Befehle. Dazu massig Lokalkolorit: Krimskramsladen in New Orleans, Friedhof-Graffiti im französischen Viertel, Bluesmusiker im Park. Lokalkolorit kann man in allen drei Spielen der Reihe beinahe fühlen. Details von der bayrischen Aussprache in München im zweiten Teil bis hin zum pittoresk französischen Städtchen im dritten. Zum dritten Teil kann ich übrigens – oh schreck – gar nicht viel sagen, da ich ihn nie komplett gespielt habe. Die eckige 3D-Grafik, die zeitabhängigen Rätseleien und die seltsame Steuerung haben mich davon abgehalten.
Aber zu Teil zwei! The Beast Within von 1995, ähnlich detailverliebt wie sein Vorgänger, überrascht mit einer der albernsten deutschen Synchonisationen der an sich schon albernen Videosequenzen mit albernen Schauspielern. Sehr schade, denn die großartige Geschichte im tiefsten
Mittelalter Bayern um den mysteriösen Tod von Ludwig II., eine verschollene Wagneroper und Werwölfen hätte eine bessere Umsetzung verdient. Deutsche Historie. Von einer Amerikanerin! Ausgerechnet! Und damit wir uns richtig verstehen: schlecht finde ich The Beast Within wahrlich nicht, nein nein, nur die albernen Videos, die albernen… aber siehe oben.
Vielleicht fand Frau Jensen ihre Geschichte ebenfalls zu gut für ein Ruckelvideospiel und hat sie genau deswegen nochmal veröffentlicht, nämlich als Roman. Wie schon Sins of the Fathers zuvor. 1999 erscheint ihr erster Roman, der nicht Buch zum Spiel ist: Millennium Rising, der später in Judgment Day umbenannt wird. Mythologie und Okkultes auch hier, vermischt mit der heute putzig anmutenden Paranoia zum Ende des Jahrtausends. Dante’s Equation, ihr jüngster Roman, dreht sich um die Kabbala, theoretische Physik und Spionage. Hat sich Frau Jensen damit endgültig von Spielen verabschiedet? Es sieht so aus. Ihre Enttäuschung kann man auch aus ihrem Liebesbrief an Sierra herauslesen. Schade.
Keine revolutionären Spielentwicklungen, keine extravaganten Spielkonzepte und nur dreieinhalb Adventures. Wieso ich trotzdem über Jane Jensen schreibe? Weil ich mich heute noch in ihren beiden ersten Spielen zuhause fühle und sogar an den dort präsentierten realen Orten, obwohl ich sie nie besucht habe.
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