Zu Beginn unseres Textadventure-Schwerpunktes haben wir die kühne These aufgestellt, dass durch die Reduktion auf reinen Text und deskriptiver Darstellung der Geschehnisse ein intensiveres Spielerleben möglich sein kann als durch grafische Umsetzungen. Außerdem sind wir fix durch die Historie geflitzt und haben im Vorbeihechten den Namen Infocom in den Ring geworfen. Jetzt kombinieren wir das Ganze und kommen zu einem fast verloren geglaubten Bestandteil von Spielen, welches derweil eine Renaissance erlebt – und sei es nur, um die Preise völlig überteuerter Collector’s Editions zu rechtfertigen: die Feelies!
Als Feelies bezeichnet man Mitbringsel, die in der Spielepackung liegen und nicht der Datenträger oder das Handbuch sind. Und gerade hier tat sich Infocom hervor, die zu jedem Spiel liebevoll ausgearbeitetes Zusatzgoodies entworfen und mitgeliefert haben. Sei es, um das Szenario des Spiels zu unterstreichen, einen damals noch darüber gut realisierbaren Kopierschutz zu ermöglichen oder einfach nur, um dem Spieler ein mehr als breites Grinsen zu entlocken. Dabei wurde auch vor anderen Sinnen als dem Sehnerv nicht halt gemacht.
Eines der bekanntesten Adventures dieser ruhmreichen Spieleschmiede ist sicher Douglas Adams’ Versoftung von Per Anhalter durch die Galaxis, an die der Autor selber neben Steve Meretzky maßgeblich beteiligt war. Öffnet man die frisch erworbene Packung, findet man neben der Diskette mit dem Programm einen Haufen anderen Plunder: Als erstes fällt natürlich der knatschrote Don’t-Panic-Button zum Anstecken ins Auge. Prima zum Am-Revert-tragen als moralische Stütze für die Tücken und Probleme des Alltags. Außerdem wissen so alle Eingeweihten auf der Straße gleich Bescheid, dass hier ein Gleichgesinnter wandelt, der mindestens genauso bescheuert ist wie man selbst. Ebenfalls ganz wichtig: Die Fluse aus Arthur Dents Morgenmantel. Orginal in eine Plastiktüte eingeschweißt lässt sie mit dem Helden mitleiden: So fühlt es sich als Loser an. Brutal authentisch und knallhart. Zu illustrierenden Zwecken wird in einer anderen Tüte auch gleich ein 1:1-Modell der »Microscopic Space Fleet« mitgeliefert. Diese – so weiß man aus Buch und Spiel – nahm wegen eines Kommunikationfehlers die beschwerliche Reise zur Erde auf sich, um sie ein für alle Mal zu Staub zu schießen, merkte leider dann erst, dass sie verschwindend klein im Vergleich zu Menschen war und wurde von einem Hund eingeatmet. Darwinistisches Anschauungsmaterial sozusagen, Vorsicht beim Auspacken, man verliert sie sehr schnell. Neben der amtlichen Auslage für den Abriss von Arthurs Haus und dem entsprechenden Gegenstück für die Erde (jeweils mit Stempel und Unterschrift) zum geflissentlichen Ignorieren kommt auch noch die garantiert beruhigende Mir-doch-alles-scheissegal-Brille für besonders brenzlige Situationen in schickem aber auch undurchsichtigem Schwarz daher. Abgerundet wird das alles noch mit ausführlichem Handbuch und diversen Gags am Rande, als Feelie wird zum Beispiel auch explizit »No tea« mitgeliefert. Und das alles zum Normalpreis.
Etwas weiter in Sachen Sinneserfahrungen ging da Leather Goddesses of Phobos, welches neben einem gar nicht mal so kurzen 3D-Comic inklusive passender Brille auch eine Scratch’n’Sniff-Karte präsentiert. Dieses Kärtchen kann im Spiel auf Anweisung an entsprechenden Stellen aufgerubbelt werden. Unter der Versiegelung lauert ein Duft, der die momentane Spielsituation geruchsmäßig illustrieren soll. Das riechende Computerspiel – eigentlich schade, dass sich das nicht durchgesetzt hat. Wer allerdings mal sein Riechorgan an einem solchen Kärtchen hat schnuppern lassen, wird dem letzten Satz höchstens gequält grinsend zustimmen können. Nicht nur, dass sich die Gerüche alle etwas ähnelten; waren sie auch nicht unbedingt das, was sich Herr Klein und Herr Boss bei einer gepflegten Kiste Champagner zum Scheffeln vieler weiterer Stellen vor dem Komma ausdenken würden. Andererseits gäbe es auch gerade in der Spielhandlung Gerüche, die man vielleicht lieber nicht… aber lassen wir das.
Die Leute bei Infocom sind sehr kreativ mit der Erweiterung des Spielerlebnisses außerhalb des Diskettenschachtes umgegangen. In der Infocom Gallery lohnt sich das Durchforsten der einzelnen Titel, bei fast jedem findet man mindestens eine hübsche Idee, die für sich allein zwar ungemein sinnentleert, aber doch unglaublich liebevoll daher kommt. Mit dieser Individualität und Kreativität zeigen die Entwickler, dass wirklich Herzblut in ihren Produkten steckt. Man spürt als Konsument, dass man sich nicht nur als ein solcher fühlen soll. Übrigens gibt es mit feelies.org eine Seite, die für unkommerzielle Textadventures neueren Datums aufwändig gestaltete Beigaben herstellt und unter’s Volk bringt. Das bringt nicht nur die persönliche Sammlung von Plunder quantitativ nach vorne, sondern identifiziert und formt das Spiel – es lädt zu sich ein.
Um den Kreis zu schließen: Dieses Gefühl hat man bei den so genannten streng limitierten Supersonderliebhabereditionen im Jahre 2005 höchst selten. Soundtrack-CDs, dicke Handbücher (sollten die nicht eine Selbstverständlichkeit sein?), drei neue Objekte im Spiel und diverser Standardfirlefanz bleiben allzu oft gesichtslos vor der schieren Polygonanzahl unter den immer gleichen Bloom- und Weichzeichnereffekten der DirectX9-Schnittstelle. Ist eine Karte für die betreffende Spielwelt sinnvoll, stellt diese noch immer das praktische Highlight einer solchen Box dar, allerdings gab es seit Ultima IX etwas derartiges in Stoff nicht mehr allzu häufig. Gebt den Spielern wieder Feelies! Nein, besser noch: Gebt ihnen wieder den Charme zurück, den vor 20 Jahren ein einfacher ASCII-Zeichensatz nebst Parser entwickeln konnte.
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