»Hamlet ist wie Kurt Cobain: er hat Probleme mit seinen Eltern, eine Identitätskrise und eine schwierige Freundin. So geht es doch allen Jungs, oder?« sagt Ethan Hawke als melancholischer Prinz mit Weltruhm über die Verfilmung mit dem Untertitel »The Denmark Corporation«. Hamlet ist ein Monster. Kein Theaterstück ist öfter aufgeführt worden, kaum ein Werk hat einen so großen Einfluss auf folgende Generationen wie die Geschichte des Dänen in Schwarz.
Das hält Lehrer nicht vom Versuch ab, Hamlet Generationen von Primanern nahe zu bringen. Bei einem dieser Versuche ist allerdings etwas schiefgelaufen. Und wie man als Spieler weiß, sind es häufig die scheinbar fehlgeschlagenen Experimente, die unterhaltsame Untote, komische Kreaturen und melancholische Mutanten hervorbringen. David Butler erschuf in einer nebenverhangenen und blitzdurchzuckten Nacht mit The Legend of Hamlet eine Chimäre besonderer Art: halb shakespearescher Hamlet, halb nintendoscher Link – der Schrecken aller Anglisten und Hochkulturverteidiger.
Auch Link, der Held aus Nintendos Zelda-Serie, bringt einiges an Kampfgewicht auf die Waage: mehr als zehn Spiele in 19 Jahren mit 42 Millionen verkaufter Exemplare bei gleichzeitig harmlos kinderzimmergerechtem Auftreten. Hobbithaft in ein grünes Wams gekleidet, mit spitzen Öhrchen und blonden Locken kämpft sich Link seither durch dunkle Königreiche und in die Herzen vieler Spieler. Das reicht schon aus, um mal mit Hamlet in den Ring zu steigen. Zwei Publikumslieblinge auf dem Weg zum Schwergewichtsweltmeistertitel, nur leider mit verschiedenem Publikum. Ob das gut geht?
Nein – das muss man ganz klar sagen. Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit. David Butlers Zielsetzung war eine kreative Bearbeitung von Shakespeares Hamlet mal eben in den Weihnachtsferien (oder zwischen den Jahren, wie man hier sagt). Weil man in 14 Tagen nicht einfach ein neues Zelda aus den Socken schütteln kann, griff David auf Graal zurück. Graal ist eigentlich ein kostenloser Zelda-Klon mit Entwicklungsumgebung für Spielinhalte und Onlinefunktion.
Das Spiel nimmt die Grundgeschichte auf: der Spieler spielt den auf wenige Pixel zusammengeschrumpften und rot bewamsten Hamlet. Sein Vater erscheint ihm als Geist, um ihn vom wahren Hergang seines Todes in Kenntnis zu setzen: ermordet vom eigenen Bruder, der daraufhin Hamlets Mutter ehelicht und selber König wird. Ein solches Schicksal kann kein shakespearescher Held, kein Dänenprinz und schon mal gar kein Zelda-Spieler auf sich nehmen. Rache ist gefordert und Rache soll verübt werden.
Doch der Weg dahin gestaltet sich eigenartig. Schnell beginnt das Spiel, merkwürdige Dinge zu wollen. Bernardo – eigentlich ein einfacher Soldat – verlangt von mir, dem Prinzen des Reiches, irgend ein Dings aus dem Garten zu holen. Die Schauspieler wollen Geld von mir, damit sie bei Hofe auftreten. Eine Frechheit ist das, mich, den völlig vergeistigten Prinzen um so etwas Profanes wie Geld zu bitten, dafür habe ich mein Hofpersonal. Und überhaupt: die Schauspieler haben doch im ersten Akt noch gar nichts verloren.
Natürlich ist David Butler nicht Shakespeare und auch kein Spielestudio. Was er in 14 Tagen geleistet hat, ist pittoresk anzuschauen. Die vertrauten Zeilen in den Sprechblasen knuffiger kleiner Pixelkerls zu lesen, kann man ja als andere Form einer Inszenierung verstehen – und ich schwöre Stein und Bein, dass es schon mehr als ein Schauspielhaus gab, in dem Hamlet schlechter inszeniert wurde.
An The Legend of Hamlet kann man aber einige Dinge sehr schön beobachten. Das Konzept der »Erzählung«, das wir alle in unserem Kopf haben und das durch tausende Filme und Bücher geprägt wurde, hat Probleme, sich mit dem Konzept »Spiel« zu vertragen. Handlungsfreiheit zerstört allzu schnell den Handlungsstrang. Das findet sich auch in voll ausgewachsenen Spieleproduktionen. Handlungsfreiheit ist eine der zentralen Eigenschaften von Computerspielen. Handlungsfreiheit innerhalb einer Fiktion zu haben macht Spaß, verdammt viel Spaß. Ein Tragödie aber ist beinahe das genaue Gegenteil. Meine erste Erfahrung mit Hamlet war – wie es sich gehört – im Theater. Und mit anzusehen, wie alle langsam aber stetig und präzise auf die große Tragödie zusteuern bei gleichzeitiger Fesselung an den Theatersitz, der mich zum ohnmächtigen Zuschauerdasein verdammte, war eine große Qual. Aber ein unglaublich schöne große Qual.
Not everyone is lucky enough to understand how delicious it is to suffer.
(Katherine Hepburn)
Wie kommt die Tragik ins Computerspiel? Gebe ich dem Spieler zuviel Handlungsfreiheit, stirbt am Ende vielleicht niemand. Gebe ich dem Spieler zuwenig Handlungsfreiheit, hört das Spiel auf, ein Spiel zu sein. Nicht zu viel, nicht zu wenig, und am Ende müssen doch alle sterben. Das ist leicht gesagt, geht aber nur schwer über die Lippen. Der Spieler müsste im Aufbau des Spiels Tragik finden können. Wenn er nach zehn Anläufen entdeckt, dass es zehn Wege gibt, die er wählen kann, aber alle in den Tod führen, dann wäre es vielleicht ein tragisches Spiel.
Schwerer aber wiegt, dass aus dem tausendgesichtigen Hamlet, dem zerrissenen und melancholischen Helden, dem Typen mit der Identitätskrise und der schwierigen Freundin dieser Link wurde, der emotionslos durch seine Tragödie stampft, mit dem immergleichen Verhalten, der brav auf meine Befehle hört und auch sonst wenig Profil bietet. Damit ist er in guter Gesellschaft, denn die Lara Crofts, Max Paynes und Duke Nukems dieses Mediums sind auch bloß gut gerenderte und motiongecapturete 3D-Abziehbilder von dem, was eine richtige Figur ist.
Immersion und Identifikation mit einer Figur haben – entgegen dem, was Xbox360-Entwickler denken – nichts mit Polygonen zu tun. Mr. Payne hat nicht nur eine saublöden Namen, sondern auch sonst eher den Charakter eines Sledge Hammer. Guybrush Threepwood war näher an Hamlet als Max Payne. Aber warum ist das so? Hamlet ist einer von uns. Na gut, Hamlet ist Prinz, aber was treibt er denn schon prinzliches? Er tötet keine Drachen, vernichtet keine Königreiche und rettet keine Prinzessinnen. Er ist nämlich in erster Linie ein einfacher junger Kerl – ein Student (der sogar in Deutschland studiert). Er verachtet das Verhalten seiner Mutter, wird scheinbar von seiner Freundin zurückgewiesen und ist ganz allgemein höchst unzufrieden mit sich und der Welt.
Diese 400 Jahre alte Figur trifft die Lebenswirklichkeit vieler Spieler immer noch besser als die Links, Max Paynes und St. Andreasse da draußen. Und er ist uns näher, weil er nicht einfach nur der eine Prinz ist, sondern, weil er sich stetig wandelt, weil er zögert, weil er menschlich ist.
David Butler hat einen solchen Hamlet nicht in 14 Tagen in die Graal-Engine stecken können und das kann ich ihm auch nicht vorwerfen, immerhin reden wir hier von einer Figur Shakespeares. Das Ergebnis ist im Angesicht der Umstände ein bemerkenswertes: Da ich Hamlet kenne und mag, sehe ich die Mängel des Spiels. Und auf der Suche nach einem Spiel, dass diese Mängel behebt, bin ich immer noch. Das ist meine erstes Fazit. Und das zweite Fazit: Hamlet kann sehr wohl in einem Computerspiel weiterleben. Allein die Idee, dass der kleine Pixelwicht, der dort auf dem Bildschirm meinen Befehlen gehorcht, all das in sich trägt, was Shakespeare in ihn gelegt hat, macht einen Heidenspaß.
Kommentare sind für diesen Beitrag geschlossen.